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Die Hutmacherei ist ein „heißes Geschäft“

Martin Wiesner aus Kreuth zählt zu den Martin Wiesner, Hutmacherwenigen Hutmachern in Deutschland,die Kopfbedeckungen aus Filz oder Haar noch in mühevoller Handarbeit herstellen.

Er soll nicht zu elegant sein, auch nicht zu „trachtig“. Irgendwo dazwischen, am besten die klassische Richtung. So oder ähnlich hören sich die Kunden an, wenn sie das kleine Geschäft an der Tegernseer Straße 69 im Kreuther Ortsteil Reitrain betreten haben und ihre Wünsche äußern. „Was ganz Ausgeflipptes wird bei uns nicht gesucht“, sagt Martin Wiesner, „und die Touristen, die was Billiges wollen, kaufen am Kiosk.“ Etliche Firmenbosse und Promis zählen zu seinen Kunden. Das merkt er spätestens dann, wenn er die Adresse aufschreibt. Aber es kommt auch der eine oder andere im Maurergewand daher. Was Martin Wiesners Kundschaft quer durch alle Schichten und Berufe eint: Sie alle begehren einen handgemachten Hut von ihm. Wiesner ist Hutmacher. Im offenen Hemd und blauer Schürze, jugenhaft und frisch, steht der gebürtige Kreuther, Jahrgang 1984, im Laden und erzählt von seinem Metier.

Das Wort Hut geht auf das altdeutsche Huoata zurück, was so viel wie Wächter oder Schutz heißt. Früher war der Hut ein Symbol für die soziale Stellung seines Trägers oder Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts ging man nicht ohne Kopfbedeckung auf die Straße. Echte Hutgeschäfte sind mittlerweile selten geworden in Deutschland. Haben sie die Revolution der Flower-Power-Generation in den späten Sechzigern und die seuchenartige Verbreitung amerikanischer Baseball-Kappen seit den Siebzigern überlebt, so kommen die Läden oft dunkel und altmodisch daher. Die Modisten-Boutiquen etwa in München, die überwiegend Damenhüte anbieten, sind wiederum teuer. Das andere Extrem besetzen die Billigläden mit Hüten „made in Fernost“. Irgendwo dazwischen liegt Martin Wiesners Laden. Der Kenner weiß jedenfalls sofort Bescheid, wenn man die Namen Tegernsee, Hut und Wiesner in einem Atemzug nennt.

Hutmacher ist ein aussterbender Beruf, nicht nur wegen der schweren und unbeliebten Handarbeit. Deshalb fand sich in Deutschland auch keine Schule mehr, wo Martin Wiesner das ausgefallene Handwerk hätte erlernen können. Er musste ins österreichische Bad Ischl und nach Wien wechseln. Eigentlich wollte der Kreuther Schreiner werden und den väterlichen Betrieb übernehmen. Doch bei einem Praktikum in der 8. Klasse Hauptschule kam Martin Wiesner schnell dahinter, dass der Umgang mit Holz nicht seine Sache ist. Also hat er zwei Jahre lang Hutmacher gelernt und dann noch eineinhalb Jahre für den Einzelhandelskaufmann dran gehängt. Diese Kenntnisse kann er jetzt als Geschäftsinhaber gut gebrauchen.

Das Verkaufsgespräch beginnt Wiesner mit der Frage, zu welchem Anlass die neue Kopfbedeckung denn getragen werden soll. Soll es ein Hut zur Tracht für die Sonn- und Feiertage sein, ein Strohhut zum Schutz vor Sonne und Hitze oder ein „Trecking-Modell“? Hat sich der Kunde entschieden, geht es in die Details. Für die Festtage empfiehlt Wiesner einen Velours-Hut. Sein Sortiment geht hauptsächlich in Richtung Tracht. Velours-Hüte, die aus Hasenhaar bestehen, hält er in 14 verschiedenen Farben vor. Vom hellen lindgrün bis zum dunklen flaschengrün, braun und schwarz. Er übernimmt auch historische Hutformen und sucht für sie nach alten Farben. Bei den Trachtenhüten gibt es wieder unterschiedliche Formen, etwa den Werdenfelser Sechser oder den Miesbacher Hut, genannt Scheibling. Er ähnelt der Melone. Die Dirndl tragen unter anderem den typischen flachen, tellerförmigen Miesbacher Damenhut.

Am Anfang der Hutproduktion steht der Rohling, genannt „Stumpen“, aus grob vorgeformtem, grün, braun oder grau durchgefärbtem Filz. Die Stumpen bezieht der Kreuther aus Augsburg und aus Tschechien, die Wollhüte aus Schafwolle stammen aus Portugal. Im Sommer fragen Herren, die auf sich halten, nach dem klassischen „Panama“. Ist das Hutmodell gefunden, wird es der Kopfform des Trägers angepasst. Der Kunde wählt den Qualitätsgrad und die Kordel aus, die seinen Hut zieren wird. Zum Hutschmuck gehören auch Gamsbärte und Spielhahnfedern. Sind sie leicht nach vorne geneigt am Hut befestigt, soll dies ein Zeichen dafür sein, dass sein Träger raufen will, wenn es sein muss.

Drei Hüte Die Hutmacherei ist ein heißes Geschäft. Die Stumpen weichen zunächst in heißem Wasser, damit sie formbar werden. Ein Lehrling – Wiesner hat keinen – zieht sich dabei noch etliche Brandblasen zu, bis eine feste Hornhaut die Finger schützt. Dann wandert der angehende Hut für einige Minuten in den Dampfkessel, wo der Filz geschmeidiger wird. Der Hut ist jetzt etwa 120 Grad heiß. Wasserdampf sorgt für die Verfilzung und spätere Wetterbeständigkeit. Die Anformmaschine plattiert den Rohling, sie zieht ihn in die Länge, damit er bereit ist für den nächsten Arbeitsgang. Nun ist der Moment gekommen, in dem der Hutmacher dem Stumpen „das Leben nimmt“: er zieht den Rohling auf einen „Holzkopf“ auf. Es muss Linden- oder Eichenholz sein, um die Temperaturschwankungen zu überstehen. Anschließend wird der Stumpen zwischen Kopf und Rand, dort, wo später die Zierkordel sitzt, mit dem Formband „abgebunden“ und mit dem Treibeisen bearbeitet, damit er über Nacht in der Trockenkammer nicht in seine alte Form zurückgeht. In der Wiesner'schen Hutmacherei ersetzt die Sonne die Trockenkammer.

Nachdem der Hut zwei Tage an der Luft trocknete, wird der Rand eingebügelt und abgeschnitten. Fortwährendes Bügeln des Randes, das Ranfteln, verleiht Spannung und verhindert, dass der Rand schlaff herunter hängt. Unter Dampf wird der Hut auf der Oberseite leicht mit der Hand eingedrückt und erhält so seine endgültige Form. Im nächsten Schritt wird die rauhe Oberfläche auf drei Millimeter geschoren sowie ausgiebig gebürstet und gefettet. Der Fachmann spricht von „touren“, er gibt dem Hasenhaar eine Richtung. Fortan fühlt sich der Hut sanft und seidig an. „Das hebt uns von der Fabrik ab“, merkt Wiesner an. Die vielen Arbeitschritte, zwischen 60 und 80, wären für eine industrielle Produktion unrentabel. Zur Abrundung des Sortiments lässt sich der Kreuther aber auch Lodenhüte fertig ins Haus liefern. Es folgt schließlich das Einnähen des Schweißbandes. Jetzt fehlt nur noch die Verzierung mit Kordeln und Seidenbändern.

In Laden und Werkstatt agiert eine lustige, bunt gemischte Truppe. Die Mädels helfen dem Kunden beim Aussuchen des Modells und garnieren den Hut, das heißt, sie legen die Kordel herum, zwei- oder dreireihig. Der Chef ist für die Form zuständig. Montags und dienstags ist der kleine Laden geschlossen, „damit wir arbeiten können“. Zwei Hüte schafft Wiesner an einem Tag, 550 im Jahr. Das Geschäft läuft offenbar gut, denn auf einen handgemachten Hut aus Velours um die 185 Euro muss der Kunde ein Jahr lang warten. Er besitzt dann aber auch ein Qualitätsprodukt, das nicht gleich beim ersten Wolkenbruch seine Facon verliert. Sollte sich die Form im Lauf der Jahre doch einmal ändern, wird oft ein einfaches Rezept empfohlen: in einem Topf Wasser erhitzen, den Hut über dem Wasserdampf drehen und zur gewünschten Form drücken. Martin Wiesner hält davon aber nichts, weil oft ein Murks rauskommt. Sein Tipp: Lieber kurz im Geschäft ändern lassen.

Info: Hutmacherei Martin Wiesner, Tegernseer Straße 69, 83700 Reitrain/Kreuth, Tel: 08022/673824; Fax: 08022/673825; eMail: info@hutmacherei-wiesner.de; www.hutmacherei-wiesner.de, Geschäftszeiten: Montag und Dienstag geschlossen, Mittwoch bis Freitag 9 bis 12 und 14 bis 18 Uhr, Samstag 9 bis 13 Uhr. (Dieser Beitrag hat im Buch keinen Platz mehr gefunden und ist nur auf dieser Website zu lesen.)